Ach, ich rege mich schon gar nicht mehr auf. Über Gesetze, die offenbar komplett wirklichkeitsfern und beratungsresistent durchgewunken werden. Von Politikern, die anscheinend völlig überfordert sind mit der Materie, über die sie da gerade entscheiden.

Seit heute gibt es also die gesetzlich verankerte Pflichtablieferung von Netzpublikationen bei der Deutschen Nationalbibliothek. Man möchte also

(...) alle Darstellungen in Schrift, Bild und Ton, die in öffentlichen Netzen zugänglich gemacht werden[, archivieren.] Die Abgabepflicht umfasst sowohl Internetpublikationen mit Entsprechung zum Print-Bereich als auch web-spezifische Medienwerke. Beispiele für Netzpublikationen sind elektronische Zeitschriften, E-Books, Hochschulprüfungsarbeiten, Digitalisate, Musikdateien oder auch Webseiten und dynamische Applikationen. (...)

Also, diesem Text aus den FAQs der DNB zufolge fallen auch Webseiten, Blogs, Foren und was es sonst noch so gibt in diesem Internetz unter die Pflichtabgabe. Kommt man dieser nicht nach, so können hohe Ordnungswidrigkeitstrafen drohen. Freundlicherweise sieht die DNB momentan noch davon ab,

(...) Solange die Deutsche Nationalbibliothek die Verfahren und Festlegungen bezüglich Sammlungsumfang, Sammlungstechnik und Verfügbarmachung noch nicht abschließend getroffen hat, wird sie keine Ordnungswidrigkeitsverfahren anstrengen und abzuliefernde Netzpublikationen gegebenenfalls nicht gleich übernehmen, sondern vormerken und erst anfordern, wenn der Stand der Technik und der Absprachen dies zulässt. (...)

Aber sobald man technisch in der Lage ist, auch server- und datenbankgestützte Publikationen (vulgo: Webseiten) im eigenen Archiv abzubilden, könnte das ganz anders aussehen.

Da sich unsere lieben Gesetzgeber so umfassend vage ausdrücken

(...) Prinzipiell schließt die Verordnung etwa "lediglich privaten Zwecken dienende Websites" aus. Was genau darunter fällt, ist unklar. Die DNB strebt nach eigenen Angaben an, die Archivierung auch auf "originär dem Web" entsprungene Publikationsformen wie Blogs, Wikis oder Foren nach und nach auszudehnen. (Zitat aus o.a. heise-Artikel)

ist völlig unklar, welche Webauftritte davon betroffen sind, und welche nicht. Typisch deutsch. Schiessen wir doch mal in die Baumkrone und schauen dann, was alles runterfällt.

Ganz groß ist auch die Idee, dass man die Publikationen als PDF und/oder als ZIP-Datei per FTP an die DNB übertragen soll. Ob sich da wohl einige Entscheider von suchmaschinenfreundlichen URLs haben verwirren lassen, und denken, Webseiten von heute bestehen immer noch aus einer großen Anzahl einzelner statischer HTML-Seiten? Oder erwarten die ernsthaft, dass man einen Dump der Datenbank inklusive aller Host- und Passwortinformationen mitgibt?

Bevor ich nun vollends vom Glauben abfalle, habe ich zum Glück auf einer anderen Seite der DNB diesen Abschnitt gefunden:

Die Abgabe einer Netzpublikation (NP) an die Deutsche Nationalbibliothek setzt deren Transferfähigkeit voraus. Einer großen Zahl von Publikationen ist die Transferfähigkeit immanent, da sie dazu vorgesehen sind, über Datennetze von ihrem Veröffentlichungsort zum künftigen Nutzer transportiert und anschließend in dessen lokaler Umgebung gelesen zu werden. Dazu gehören z. B. Dokumente im Dateiformat PDF sowie Mehrdateiendokumente, die in einem Container (Archivdatei) zusammengefasst sind. (...)
* Eine transferfähige NP darf nicht mit den spezifischen Hard- und Softwarebedingungen ihrer Ursprungsumgebung so verwoben sein, dass sie an anderen Orten nicht benutzbar ist. Archivsysteme können es sich nicht leisten, proprietäre Systemumgebungen publikationsspezifisch nachzubilden, sondern müssen sich auf das Spektrum der zur jeweiligen Zeit marktüblichen Voraussetzungen beschränken.
* Eine transferfähige NP muss eine selbstständige logische Einheit bilden, die aus ihrer Umgebung herausgelöst werden kann (nur relative und nicht etwa absolute Referenzierung zwischen einzelnen Publikationsbestandteilen). Im Archivsystem wird der NP ein abgegrenzter Raum geboten, in dem die Referenzierungen erhalten bleiben. Dieser abgegrenzte Raum würde z. B. durchbrochen, wenn die NP Verzeichnisse ihres Ursprungsservers absolut adressieren würde.
* Eine transferfähige NP kann durchaus Referenzen zu externen Quellen enthalten. Jedoch darf die Existenz oder der Verlust solcher absolut referenzierten Objekte oder Funktionen die Authentizität der NP selbst nicht beeinträchtigen (z. B. Literaturhinweise, Kontaktadressen, Suchfunktionen als Hyperlinks).
* Eine transferfähige NP darf nicht auf eine Serveranbindung angewiesen sein, mit der z. B. wesentliche Inhaltsbestandteile dynamisch und ad hoc zum Zeitpunkt der Interaktion mit dem Nutzer aus einem im Hintergrund stehenden Datenhaltungssystem abgerufen werden.

Vor allem der letzte Punkte dürfte wohl eindeutig dafür sprechen, dass, obwohl es im Gesetzestext anders interpretierbar steht, die DNB keine server/datenbankbasierten Websites als Netzpublikationen ansieht.

Entwarnung also? Oder steckt doch mehr dahinter, wie z.B. im sehr lesenswerten offenen Brief von Herrn Schwerdtfeger gemutmaßt wird?