Blast From the Past

Beim Aufräumen meiner Studienunterlagen ist mir ein kopiertes Blatt in die Hände gefallen, offenbar eine Seite aus der gedruckten Ausgabe der "W&V" vom Februar 1989, dem Jahr, als ich endlich das heissersehnte Design-Studium anfangen konnte.
Auf der Seite ist ein längerer Artikel zu "Warum bei den Kreativen Computer langsam ticken", der sich mit den Chancen des "Gestaltungs-Computers" befasst, und unten auf der Seite ein kleines Insert mit folgendem Text:

Sechs Prognosen über das DTP

Durch DTP werden sich die Strukturen zwischen Kunde und Agentur verändern

Erstens: Ganz generell wird das kreative Leistungsniveau steigen, weil der Kreative sich, dank der Computer-Hilfe, zeit- und energiemässig auf die Nutzung dessen konzentrieren kann, was seine Qualität ausmacht und was dem Computer fehlt: Geist und Phantasie.

Zweitens: Ganz speziell wird die Computer-Nutzung zu einem steigenden Typographie-Bewusstsein führen. Schon heute gibt es vorzügliche Programme für Typographen und Layouter, die auch schon relativ häufig benutzt werden, und die Entwicklung geht weiter.

Drittens: Ateliers, die nur den Grundnutzen "Layout" und "Reinzeichnung" anbieten, werden künftig weniger Leute beschäftigen können. Experten schätzen, daß der Zeitaufwand für Routine-Arbeit auf 30 bis 40 Prozent der bisher benötigten Zeit sinken wird.

Viertens: Auch Setzereien, die nur die Grunddienstleistung anbieten, dürften zunehmend Beschäftigungsprobleme bekommen.

Fünftens: Grafiker, die heute als Art-Direktoren akzeptiert und bezahlt werden, weil sie schnell und technisch perfekt sind und gut damit ihre konzeptionelle und kreative Schwäche verdecken können, werden um ihren Status bangen müssen. Was sie gut können, kann der Computer besser.

Sechstens: Die Arbeitsstrukturen in der Kommunikationsbranche, und zwar sowohl innerhalb der Werbeagenturen als auch im Beziehungsgeflecht zwischen Agenturen, deren Kunden und den Medien, werden sich durch die Nutzung von Gestaltungs-Computern und deren Vernetzung wesentlich verändern.

Ein Szenario: Eine auf dem Bildschirm gestaltete Anzeige wird von der Agentur online auf den Bildschirm des Kunden gegeben und, nach dessen Genehmigung, online in die Druckerei des Verlags. Zwischen der Gestaltungs-Idee und der Veröffentlichung der Anzeige liegen nur zwei Tage. Ich finde, das klingt gar nicht so utopisch.

Zum einen komme ich mir gerade ziemlich alt vor, denn ca ein Jahr vor diesem Artiklel habe ich zum ersten Mal vor einem Apple Macintosh gesessen - ein SE mit zwei Laufwerken und im Stockwerk untendrunter stand ein riesengroßer und unglaublich teurer Laserdrucker.

Zum anderen bin ich gerade geflasht, was für eine rasante Entwicklung seither passiert ist und dass ich nach 23 Jahren immer noch dabei bin :-).

Sehr schmunzeln musste ich beim zweiten Punkt, da hat der Verfasser des Artikels nicht mit der Office-Suite und Comic Sans, ja überhaupt der Powerpointworlddomination gerechnet.

Erstaunlich präzise dagegen beschreibt sein "Szenario", wie seit Jahren der Entwurfs-, Abstimmungs- und Produktionsablauf ist. Was er nicht vorhergesehen hat, dass mit der "schnellen" Verfügbarkeit von Entwurfsleistungen deren "Wert" rapide gesunken ist, auch wenn er es in den Punkten drei und vier vermutet.

Anyway, ich fand das gerade sehr erheiternd.