Da versucht also eine Anwaltskanzlei, das Ansehen des Quellcodes der Website zu verbieten, weil wegen Urheberrecht und geistigem Eigentum.

Das finde ich sehr interessant, zeigt es doch einmal mehr, wie wenig die Leute da draussen verstehen, wie das mit HTML und dem Webbrowser und dem Internet so tickt.
Eins vorweg: Ich bin alles andere als bewandert in der Juristerei, aber ich wühle seit 1996 im Keller und dem Maschinendeck von Websiten herum und ich behaupte einfach mal unbescheiden, dass ich eines habe: Ahnung von der Materie.

Als ich anfing, mich mit dem Web und HTML zu beschäftigen, war ich fasziniert davon, dass ich nur mit einem Texteditor und einem Grafikprogramm in der Lage war, Websiten zu gestalten. Das Erlernen von HTML, Javascript (und später dann auch php und CSS) erfordert nichts weiter, als etwas Zeit, Neugierde und hatte für mich viel von Punk: Ich konnte es zwar nicht, aber ich konnte direkt etwas damit machen, das Ergebnis war sofort sichtbar - keinerlei Latenz durch langwierige Veröffentlichungsprozesse. Irgendwas in den Text-Editior gehackt, im Browser angekuckt, geschluckt, Änderungen gemacht, solange, bis es irgendwie funktionierte. Neben einigen wenigen Anleitungen und Tutorials im Web war vor allem das Studieren der Quelltexte von anderen Websiten das A und O, der Schlüssel zum Erlernen und vor allem Verstehen von HTML. Man sieht etwas, was man selbst noch nicht hinbekommen hat, schaut sich den Quelltext an, versucht zu verstehen, was da gemacht wird, und probiert es selbst aus.

So. Umgangssprachlich wird ja immer wieder gesagt, man habe eine Website "programmiert", und meint meistens dabei, dass man den HTML-Code erstellt hat. Oft wird HTML als "Websitenprogrammiersprache" bezeichnet - was schlicht falsch ist. HTML ist eine "Beschreibungssprache" - sie stellt Mittel und Struktur bereit, damit Inhalte, zumeist Text, aber auch Bilder und andere Medien, in einen Ablauf, eine Semantik gebracht werden. HTML besitzt keine Logikbedingungen, kann nichts berechnen - es kann nur Auszeichnen. HTML ist eigentlich nichts anderers als eine Sammlung an Anweisungen, die der Render-Engine der betrachtenden Anwendung (zumeist der Webbrowser, aber auch Suchmaschinen-Spider oder Vorlese-Programme) vorgeben, welche Formen von Inhalten sie da vorgesetzt bekommt. Eine Überschrift, ein Wort, das wichtiger ist als ein anderes, eine Verknüpfung zu einem anderen Abschnitt oder Dokument. Dass zum Beispiel "Der Mythos HTML" eine Überschrift ist, wird in HTML festgelegt. Dass diese Überschrift größer, fetter und in einer anderen Farbe dargestellt wird, das übernimmt die Browser-Renderengine - die ihre Darstellungsanweisungen aus einem CSS-Stylesheet holt. CSS ist wiederum eine Auszeichnungssprache, mit der die in HTML markierten Elemente in ihrer Darstellung beeinflusst werden können. HTML bietet/bot von Anfang an auch Möglichkeiten, das Aussehen der beschriebenen Elemente zu beeinflussen - soll eine Überschrift eine bestimmte Farbe, Größe und Schritart verwenden - was dazu führt, dass bis heute viele Leute, auch Medien- oder Screendesigner, den Unterschied zwischen der semantischen Struktur und der (visuellen) Repräsentation dieser Struktur nicht verstehen. Wo ist der Unterschied zwischen einer in HTML so ausgezeichneten Überschrift, die dank CSS doppelt so gross wie die Grundschrift in rot erscheint, und einem Abschnitt, der per HTML als Absatz definiert ist, und per CSS-Anweisung doppelt so gross wie die Grundschrift und in rot dargestellt wird? Solange man nur das Visuelle berücksichtigt, gibt es keinen Unterschied, wohl aber in der Semantik.

Um also auf die eingangs erwähnte Anwaltskanzlei zurückzukommen: Die Semantik und die Inhalte ihrer Website sowie das Design sind alles Dinge, auf die sie mit Recht ein geistiges Eigentum und Urheberrecht geltend machen können. Aber - der HTML-Quelltext, der lediglich das Vehikel darstellt, dass diese Struktur und das Layout kommuniziert wird, wird in dem Moment, wo die Seite aufgerufen wird, vom Browser des Besuchers "gelesen". Ein versierter Benutzer kann über die gezeigte Darstellung auf den verwendeten HTML-Code rückschliessen - warum soll also das Ansehen des HTML-Codes verboten sein?

[insert Kopfschütteln here]

Das verbreitete Unverständnis, dass das, was man im Webbrowser sieht, das Ergebnis aus semantischer Auszeichnung plus Anweisungen, wie diese Auszeichnung dargestellt werden sollen und dass die Render-Engine des Betrachtungsprogramms diese Anweisungen befolgen kann, aber nicht muss - und dass die Interpretation dieser Anweisungen in verschiedenen Programmen unterschiedlich erfolgt - sorgt für viel Reibereien zwischen (Screen)Designern, die die Kontrolle über das Layout bis auf den letzten Pixel behalten wollen, Usability-Experten, die eine möglichst medienübergreifende, von der visuellen Repräsentation unabhängige Bedienbarkeit und Verständlichkeit fordern, Kunden, die im Entwicklungsprozess zunächst nur Bilder zu sehen bekommen, und nicht in der Lage sind, die Transferleistung zu erbringen, wie sich das Ganze dann tatsächlich im Browser auf verschiedenen Bildschirmgrössen und -Auflösungen verhält, und schliesslich den Entwicklern, die die eierlegende Wollmilchsau an den Start bringen müssen.

Vielleicht sollte man doch über einen Internetführerschein für alle Beteiligten nachdenken. Fänd' ich gut.