Update 14.5.2009

Wie schnell das unten Hervorgehobene real werden könnte, zeigt sich gerade anlässlich des vor kurzem veröffentlichten Urteils zu den Sperrungen des Hamburger LG:

Das Gericht hat die sogenannte Störerhaftung nicht nur für Webhoster, sondern sogar für Zugangsanbieter angewandt, obwohl das für die Haftung im Internet einschlägige Telemediengesetz (TMG) in Paragraf 8 eindeutig vorsieht, dass Access-Provider für Handlungen ihrer Kunden nicht verantwortlich zu machen sind.
Wenn nun beispielsweise ein Kunde von Alice über seinen DSL-Anschluss urheberrechtswidrige Inhalte erreicht, könnte der Provider dem Gericht zufolge mithaften. Er müsste es dann grundsätzlich unterlassen, dem Kunden derartiges zu ermöglichen. Im konkreten Fall hatte das Gericht allerdings erklärt, dies sei dem Provider nicht zuzumuten, weil die in Frage kommende DNS-Sperrtechnik nur "beschränkt geeignet" sei.
Dennoch: Das LG Hamburg hat hier ein neues Fass geöffnet. Von heise online dazu befragt, kritisierte Nikolaus Forgó, Juraprofessor und Leiter des Institut für Rechtsinformatik (IRI) in Hannover, die Hamburger Richter hart. Man habe "die ohnehin schon problematische und vielfach kritisierte Rechtssprechung zur Störerhaftung" von Host-Providern auf Access-Provider erweitert. Und weil sich das Gericht auf die Störerhaftung einlasse, gelange es zur Zumutbarkeitsprüfung. Diese sie aber recht unbestimmt: "Es ist schwer vorstellbar, wie ein ganzer Industriezweig sich auf Dauer auf derart dünnem Boden bewegen soll, und diese Rechtssprechung schadet daher Providern schon jetzt massiv, obwohl sie hier vordergründig 'gewonnen' haben."
- heise.de

Wie schnell das mit der Störerhaftung der Provider gehen kann, zeigt der Fall der satirischen Seite, die kürzlich vom Netz genommen wurde:

(...) Für uns als Anbieter von Webhosting-Dienstleistungen können diese Konsequenzen sehr schnell zu einer Bedrohung der unternehmerischen Existenz führen. Eine nicht erfolgende Reaktion und somit Fortführung des Rechtsverstoßes kann im schlimmsten Fall zu einer Beschlagnahme sämtlicher von uns betriebener Server führen, wenn der Verletzte gegen den anhaltenden Rechtsverstoß gerichtlich vorgeht - unabhängig davon, ob es sich dabei um eine Privatperson, eine juristische Person oder um eine öffentliche Einrichtung handelt. Eine wissentliche Duldung des Verstoßes führt somit nicht nur zur Entziehung der Existenzgrundlage der 50 Mitarbeiter unseres Unternehmens und deren Familien, sondern auch zu einer Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz von vielen unserer über 100.000 Kunden und deren Geschäftspartnern, die zurecht auf einen verantwortungsvollen Umgang mit ihren bei uns gehosteten Webseiten, Onlineshops, E-Mail-Postfächern, etc. vertrauen dürfen. (...)

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Ich habe mir mal das "Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags zu Sperrverfügung gegen Internet-Provider" (PDF) durchgelesen. Unter anderem steht dort:

(...) Daher ist zum einen festzuhalten, dass Sperrungen durch die Access-Provider zwar technisch möglich sind, jedoch kann jede der drei aufgeführten Sperrtechniken mit einem vergleichsweise geringen Aufwand von dem Nutzer oder den Anbietern der Inhalte umgangen werden. Zum anderen bleibt bezüglich der Verhinderung des Zugangs zu bestimmten Webseiten festzuhalten, dass eine dauerhafte, zielgerichtete Sperrung ohne erhebliche Nebenwirkungen auf der Grundlage der gegebenen Internetstruktur nahezu unmöglich ist. Um im Internet Sperrverfügungen sinnvoll und effektiv umsetzen zu können, müsste die Struktur des Internets komplett neu gestaltet werden. (...)

Nun, soweit nichts Neues, ausser, dass ich mich so langsam frage, ob die Familienministerin, der Wirtschaftsminister und die Justizministerin überhaupt dieses Gutachten zur Kenntnis genommen oder verstanden haben. Aber es wird noch besser; zu den Nebenwirkungen einer solchen Sperrverfügung schreiben die Gutachter (Hervorhebungen von mir):

(...) An erster Stelle ist dabei die Kommunikationsfreiheit des Art. 5 GG zu nennen, die zwar nicht unbeschränkt garantiert wird, insbesondere durch die mittelbaren Wirkungen
einer Sperrungsandrohung aber auf eine Weise gefährdet werden kann, die bedenklich
erscheint. Denn wenn auch zuzugeben ist, dass Belange des Jugendschutzes im Allgemeinen und der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Beschränkungen der Kommunikationsfreiheit legitimieren können, muss dennoch berücksichtigt werden, dass die Gefahr weitergehender Beeinträchtigungen besteht, wenn Access-Provider Geldbußen befürchten müssen, weil sie bestimmte Inhalte nicht hinreichend ausfiltern können. Dann nämlich besteht die Gefahr, dass diese Provider zur Vermeidung möglicher Nachteile auch Inhalte sperren, die an sich unbedenklich sind. Im Ergebnis würden dadurch private Unternehmen zu einer Art Zensurstelle, die darüber entscheidet, welche Informationen zu den Bürgern gelangen können und welche nicht, ohne dass die gleichen rechtsstaatlichen Vorkehrungen gegen einen Missbrauch dieser Macht bestehen würden wie gegenüber staatlichen Einschränkungen der Kommunikationsfreiheit. Hält man sich das große Missbrauchspotenzial, das gerade bei zentralen technischen Filtersystemen besteht, und die Bedeutung der Kommunikationsfreiheit für eine freiheitliche Demokratie vor Augen, so muss diese Gefahr als besonders schwerwiegend angesehen werden.
Eben mit dieser Begründung sind im Interesse des Jugendschutzes eingeführte Bestimmungen in den Vereinigten Staaten von Amerika durch den Supreme Court für verfassungswidrig erklärt worden. (...)

Diesen Punkt habe ich bislang in der Argumentation der Kritiker der Netzsperren noch nicht gesehen. Es wird ja erst einmal befürchtet, dass auf den Sperrlisten schon unbedenkliches Material stehen könnte. Dass aber die Provider selbst schon viel umfassender sperren könnten, um quasi auf Nummer sicher zu gehen, dass hat noch niemand gesagt, oder?