Es startete vorhin mit einem Tweet, an den ich Antwort an Antwort hängte, bis ich mir dachte, hm, da will wohl ein Blogeintrag daraus werden:

Je länger ich 'was mit web' mache, umso weniger interessieren mich die 'trendigen' fe/ux geschichten, umso mehr aber die ethischen aspekte.

dezentral. zugänglich. offen. neutral. sowas halt

… je mehr ich mich da engagiere, umso untauglicher werde ich für 'kommerzielles' tagesgeschäft der "webagentur".

… statt mein wissen in die 5000. iteration einer everyfuckingwebsite.com zu stecken, würde ich lieber was sinnvolles unterstützen.

… wo es wirklich menschen hilft. wo gedanken zu performance und zugänglichkeit wertgeschätzt und nicht als lästig empfunden werden.

… sowas halt.

… im kleinen, durchaus egoistisch motiviert, bringe ich mich in open source projekte, die ich selbst nutze, ein. sinnkrise bleibt aber.

Zeit also, mal wieder eine kleine, persönliche Rückschau zu halten.
Seit ca 1995/1996 mache ich nun schon "was mit Web" und in den gut 21 Jahren hat sich an einer Sache nix, aber auch gar nix verändert: Im kommerziellen Umfeld, im Job, also da, wo ich meinen Lebensunterhalt so mit ach und Krach verdiene, wird seit 21 Jahren nicht mit, sondern gegen die Core-Prinzipien des Webs gearbeitet. Und ohne dass ich von mir behaupten würde, da den totalen Durchblick zu haben, geht mir das immer mehr auf den Zeiger.

Ich habe mit jedem neuen Webprojekt "Murmeltiertag", mit jedem Kunden, mit jeder "Design"Agentur, mit jeder Marketingabteilung gibt es seit Jahrzehnten die gleichen prinzipiellen Dikussionen und ich bins mittlerweile leid.

Alle wollen den "reach", aber keiner will die notwendigen Baustellen und Kompromisse.

Seit Jahren "verschenke" ich mein Wissen, da es unter der Haube eingesetzt wird, da ich selbst bei den kleinsten Projekten die Extrakilometer gehe, um saubere Strukturen und Semantik zu etablieren, einfach weil ich weiss, dass es sonst früher oder später zu Problemen kommt. Will aber heute, für den Moment, keiner sehen (geschweige denn bezahlen), und ich bin halt der Depp, der die Leute trotzdem nicht mit ihrem Webprojekt an die Wand fahren lässt -- und trotzdem wird meine Leistung im Vorfeld mit 08/15 Baukastenlösungen oder Jobeinsteigern, die Theme Z in Framework X auf WordPress zusammenklicken, verglichen. Und großartig ist auch, dass meistens zum Zeitpunkt der Anfrage die grundlegenden Sachen noch gar nicht klar sind - ergo kann ich gar kein Proposal schreiben, in dem ich die Vorteile, die eine Zusammenarbeit mit mir bringt, ins rechte Licht setzen kann, aber da ich weiss, was alles selbst an der "einfachsten" Webanfrage dranhängt, gibts erstmal Budget-Tränchen. Und Vorprojekte oder (bezahlte) Workshops, um die Vorgaben und Erwartungshaltungen zu konsolidieren, sind auch eher unüblich.

Das klingt nun verbitterter, als es ist, nicht umsonst habe ich zufriedene Kunden, mit denen ich mehrheitlich schon über Jahre zusammenarbeite -- aber dieser initiale Clash zwischen dem Material, dem "Fabric" dieses "was mit web machens" und den Partikularinteressen der Projektbeteiligten bei so einem üblichen "Firmenwebseiten" Konstrukt, der macht mich mürbe.

Man sollte meinen, dass sich da zumindestens in den letzten Jahren ein bisschen was bewegt hat, aber nein, "Webseiten" werden weiterhin von Designern und Agenturen im Konglomerat von "Corporate", "Logo", "Briefpapier" und all' sowas angeboten und verkauft, und nach wie vor werden "Web"spezialisten als erstes in die "ihr müsst das nur noch programmieren" Ecke gestellt und grundlegende Designfragen dann als "das wird mir jetzt zu technisch" abgebügelt. Orrrr. Achja, über Sinn und Zweck und Inhalte macht man sich erst am Ende Gedanken. Aber natürlich möchte man vorher schon wissen, wie das alles aussehen wird und was es kostet, klar.

Und auf der anderen Seite des Zauns wird Framework auf Framework gestapelt und Technik nur um der Technik willen als State of the art verkauft. Frontenddesignerstellen werden ausgeschrieben, in denen als erstes drin steht, dass ein Informatikstudium erwartet wird. Puh. Agenturen werden gesucht und verkaufen sich als "systemx"agentur - egal, wenn das Webprojekt eigentlich Schraubenzieher braucht, es wird ein Hammer genommen, weil wir sind die "Hammer"Agentur. Pfft.

Leidtragende sind am Ende die Nutzer, die sich mit trägen Webseiten, kaputten und/oder störenden absolut positionierten Elementen oder spätestens beim zweiten Reload nervenden Animationseffekten rumschlagen dürfen, denen die fetten Fullsize-Background carousel Bilder direkt aus Photoshop den Datenplan leersaugen oder die Inhalte kaum lesen können, weil der Webfont auf ihrem System leider nicht sauber rendert. Von Nutzern assistiver Technologie und deren Probleme mag ich jetzt gar nicht erst anfangen.

Vielleicht doch lieber ne Kneipe aufmachen?