Früher war mehr einfachdrauflosschreiben. Hier und anderswo. Ich bewundere, wie zum Beispiel Kiki und Christian es seit Monaten hinbekommen, jeden Tag quasi Tagebuch zu bloggen. Gerade in dieser aussergewöhnlichen Zeit wäre es doch immens wichtig, da was zu haben, auf das man später zurückschauen kann (falls es überhaupt ein später geben wird, sieht ja nicht so rosig aus auf unserem kleinen kreiselnden Stein gerade).
Aber ich habe ein Problem, was ich hier in meiner kleinen Bloghütte, die eh kaum jemand liest, so noch nie hatte: Die Themen, die mir gerade aufs Gemüt drücken, sind so groß, die allgemeine Aufregung und Aufmerksamkeit dabei aber so gewaltig, dass ich mit meinen kleinen Alltagssorgen und Befindlichkeiten da das Gefühl habe, das ist jetzt gerade nicht wichtig.
Dazu kommt eine so noch nicht dagewesene Fatique angesichts der Themen, die auf einen einprasseln:
- Immer wiederkehrender Rassismus und rassistisch motivierte Gewalt
- Amerika
- Corona (gesundheitliche und wirtschaftliche Konsequenzen) und das kollektive 'das passiert ja nur den anderen' Verhalten in weiten Teilen meiner empirisch wahrgenommenen Umgebung
- Klimawandel, Hitzewelle in Sibirien und Alaska
- "Fleischfabriken"
Ich kann es niemanden verdenken, der angesichts dessen, was da gerade abgeht, den Kopf in den Sand steckt und/oder sich mit irgendwas zudröhnt. In sofern habe ich sogar Verständnis für die Menschen, die sich gerade der kollektiven Halluzination hingeben, dass Corona nun vorbei ist, und sich einen Scheiss um Fremd- oder Eigenschutz kümmern. Party like it's 1999.
Vor allem, wenn man sich eingestehen müsste, bei vielen der Themen vielleicht auch eher Teil des Problems zu sein. Reiselust. Grillfleisch. Bequemlichkeit. Egoismus. Ich gönn' mir. Haben wir uns verdient. Die da oben. Status. Staus. Stuss.
Angesichts der Themen habe ich das Gefühl, wenn ich was dazu schriebe, dann muss das auch Hand und Fuß haben. Gleichzeitig denke ich, wenn ich nichts dazu schreibe, dann wirkt es so, als wäre mir das alles egal. Und dann denke ich wtf, wo bitte kommt denn dieser empfundene Druck her? Von den drei vier fünf Lesern hier im Blog bestimmt nicht. Ist es das, was eingangs erwähnte Blog-KollegInnen meinten, als sie beide darüber sinnieren, ihre Blogs plattzumachem, weil es wie 'ein Tanker' wurde?
Fuck. Diese Hyperinformiertheit, dazu diese Kultur zu allem eine eindeutige Meinung haben zu müssen, dieses bis auf Anschlag Hochdrehen der Info-Kompression im Web, das macht mich alles platt gerade.
So, das musste jetzt mal raus, auch wenn ich keine Lösung habe.
PS: Nein, das ist kein Vertipper im Titel.
23 Reaktionen zu “Schreiblockade”
Kann jedes einzelne Wort nachvollziehen.
*vier Leser
Der Satz nach dem „Fuck.“ fasst alles gerade ziemlich perfekt zusammen.
Wollte ich kurz mitteilen. Gibt ja sonst nichts zu berichten. Ich habe Urlaub, was ich anfangs eigentlich vermeiden wollte, aus gegebenem Anlass natürlich. Aber, stellt sich raus, auch trotz Homeoffice, braucht man irgendwann Urlaub. Überraschung.
Nun fragt man sich natürlich: wohin?! Nun bin ich nicht der Typ, der zu den elfzigtausend Irren gehört, die sofort bei Grenzöffnung nach Malle fliegen. Das hätte ich aber auch ohne Corona nicht getan, Malle oder fliegen. Unser Lieblingsreiseland aka. Dänemark lässt nun schon eine Woche auch wieder Urlauber ein, uns Schleswig-Holsteiner sogar einfach so, ohne Buchungsnachweis. Aber erstens ist sofort alles ausgebucht gewesen und zweitens fürchten wir uns hier ein wenig vor der Freiheit, vor allem davor, wie andere diese Freiheit interpretieren.
So sitze ich jetzt fünf Meter über und 200m Luftlinie von Lübecks beliebtesten stay home holiday hotspot, und sehe mir das Treiben aus sicherer Entfernung an. Morgens und abends nutze ich den halblegalen Anwohnereinstieg und bade in der Wakenitz. Abends muss ich feststellen, halten Enten und Wirwarenmalwildgänse die Abstandsregeln nicht ein.
Warum ich die Profanitäten aufschreibe? Weil ich es kann. Und weil mir zum Leben da draußen sonst nichts mehr einfällt, als meine klene Welt dagegen zu mobilisieren.
Bleibtgesund!
Joel Spolsky: Fire and Motion
joelonsoftware.com/2002/01/06/fir…
Ich kann nicht mal einen Text dalassen, nur ein Like.
Irgendetwas aus diesem Gefühlskonglomerat meinte ich wohl, ja. Das Tagebuchformat im neuen Blog hat mir genau dieses Gefühl von „es muss dann auch bedeutungsvoll sein“ genommen und genau deswegen kann ich wieder einfach schreiben. Ich glaube, ich hatte quasi die Blog-ade, die Du beschreibst, als ich den alten tanker gelöscht habe.
Das schreibt Kiki als Teil einer umfangreichen Antwort auf meine Frage gestern, was zur Hölle eigentlich gerade los ist, dass Menschen mit Blogs diese vermehrt als Belastung empfinden. Christian kommentierte gestern, und beiden Antworten ist zu entnehmen, dass da eine Verantwortung, eine gefühlte Schwere, ins Spiel kommt… ich frage mich schon länger, ob wir Webmenschen wohl langsam daran kaputt gehen, dass alle irgendwie zur Marke mutieren.
Gerade bei "Blogs" im alten Stil, also dieser "ich schreib da was mir durch den Kopf geht" Kram, nicht die Themen, Nischen- oder Experten"blogs", nein, also genau die, die "früher" mal die Blogosphäre so interessant machten, die, wo man meint, die Personen dahinter zu erkennen -- genau da wird es mit der hochgejazzten Aufmerksamkeitshysterie, gerade auch bei den eigentlich unlösbaren Themen, brenzlig. Weil, es gibt ja anscheinend keine Zwischentöne mehr, nur noch absolute Standpunkte. Lets agree to disagree ist nicht mehr. Ich mag Dich, aber Deine Meinung zu Punkt X ist scheisse, also lösch' Dich.
Will man sich da angreifbar machen? Und dann noch mit De Domain und Impressumspflicht? Wo let the Dox aus? Hm, nope, I don't think so.
Und da ist sie also, die Schere im Kopf. Meh.
Ich bin etwas spät dran, aber der Webrocker beschrieb bereits vor ein paar Wochen ganz treffend das Dilemma, das ich auch mit meinem eigenen Blog hatte.
Auf Twitter hat man jahrelang nebenbei seinen Alltag kommentiert, aber wenn man dann mal etwas längeres schreiben wollte, dann musste das unbedingt pointiert und durchdacht und geistreich sein. Warum? Warum nicht einfach zugeben, dass man doch auch keine Ahnung hat? Ist doch nicht schlimm.
Ich hatte keine Lust mehr auf diese ganze Seht-her-wie-geistreich-ich-die-ganze-Scheiße-kommentieren-kann-Selbstdarstellung auf Twitter und sonstwo. Alle überbieten sich gegenseitig so lange in ihrer Abgeklärtheit, bis einfach alles zu viel wird.
Ich habe mit dem Bloggen und vor allem auch dem Bloglesen wieder angefangen, weil ich mich wieder mit Menschen verbinden möchte, die “Ich weiß es doch auch nicht” schreiben können, ohne sich dabei einen Zacken aus der Krone zu brechen. Und manchmal tut es ganz gut zu sehen, dass andere genauso verwirrt durch die Gegend laufen wie man selbst.
Scheiß auf die messerscharfe Analyse. Man muss nicht zu allem eine fertige Meinung haben. Ich muss nicht zu allem eine fertige Meinung haben.
Und trotzdem darf ich mir öffentlich darüber Gedanken machen. Ist doch super.
Kommentare sind geschlossen.